Wie entstand die Höhlenwelt-Saga? Den langen Weg dorthin hat Harald Evers auf seiner Höhlenwelt-
Seite geschildert:
Es war im Jahr 1992, als ich nach Norddeutschland in die Stadt Plön reiste, wo die Firma Software 2000 damals ihren Sitz hatte. Mein Text-Abenteuerspiel 'Die Kathedrale' war damals erschienen und ich kam, um mir meinen Scheck abzuholen. (Es waren damals 40.000 DM, die ich erhielt, und ich dachte, das ist sooooo viel Geld, dass es mir nie wieder ausgeht. Ein Dreivierteljahr später wusste ich dann, wie viel (wenig) 40.000 sind, und dass sie schneller weg sind, als man gucken kann...)
Jedenfalls stieg ich damals im Plöner Kurhotel ab. Im Lift hing ein Bild (ich wette, es hängt da heute noch), auf dem ein kleines Passagierflugzeug über eine Bergkette hinweg in Richtung einer sonnendurchfluteten Ebene am Horizont fliegt. Über dem Flugzeug hingen schwere, dunkle Wolken von Himmel herab. Erst am dritten Tag sah ich, dass das gar keine Wolken waren, sondern Felsen – das Flugzeug flog also durch eine gewaltige Höhle hindurch!
Ich war schon seit Wochen auf der Suche nach einer Idee für ein neues Spiel-Szenario, und in diesem Moment rastete es in meinem Kopf ein. Eine Welt riesiger Höhlen und Kavernen – das war es! Ich hatte einige Zeit zuvor eine uralte Donald-Duck-Geschichte von Carl Barks gelesen, in der es ebenfalls um eine ähnliche Welt ging, in der die Kullern lebten – ein Volk von gummiartigen Kugelwesen, die als Volkssport Erdbeben veranstalteten. Diese beiden Inspirationen ließen in meinem Kopf eine Vorstellung einer gigantischen, unterirdischen Höhlenwelt entstehen.
Ich entwickelte zu dieser Zeit bereits an meinem Abenteuerspiel 'Hexuma', aber die Höhlenwelt-Idee keimte bereits in meinem Kopf. So recht hatte ich noch keinen Plan gefasst, aber ich baute bereits in 'Hexuma' den Schluss um – wollte die ganze Story auf ein Nachfolgespiel hinlenken, dass in eben dieser, in meinem Kopf gerade entstehenden Höhlenwelt spielte. So geschah es tatsächlich, dass der 'Endgegner' in Hexuma (der sich eher als Verbündeter und Freund entpuppte), jener signifikante 'Cal' war, mit dem das Nachfolgespiel 'Die Höhlenwelt-Saga – Der leuchtende Kristall' begann. Cal war eine Art 'Messias' der Höhlenwelt; ein Verbannter, der besondere Fähigkeiten besaß, die Höhlenwelt von ihren Unterdrückern zu befreien.
So entstanden das Szenario und etliches der heutigen Inhalte damals schon, in der Zeit von etwa 1992 bis 1994. In letzterem Jahr war dann auch das Spiel 'Die Höhlenwelt-Saga' fertig und erschien (mit recht ordentlichem Erfolg) bei Software 2000. Ich lebte damals in einem kleinen Nest in Oberbayern namens Tyrlaching (über dem ich die heftigsten Gewitter meines Lebens erlebt habe – irgendwas dort muss sie anziehen... – etwa ich?), und die Musikerstadt Burghausen war nicht fern. Ich selbst bin Schlagzeuger und lernte dort Leute kennen – wurde von einem Keyboarder einmal zu sich nach Hause eingeladen. Als ich bei ihm war, sah ich ein Bild an seiner Wand hängen und setzte mich fast auf den Boden: Da ragten riesige Stützpfeiler aus Fels zum Himmel auf und es war fast, als hätte jemand meine Höhlenwelt auf die Leinwand gebannt!
Aber es dauerte nicht lang, bis mir das Bild des mir unbekannten Künstlers aus dem Lift im Plöner Kurhotel einfiel. Und dann las ich: "Hans-Werner Sahm, Galerie Gerstenberg, Bonn" rechts unten im Eck. Ich war sicher, dass es sich um den gleichen Maler handelte. An dieser Stelle möchte ich hervorheben, dass zu diesem Zeitpunkt mein Höhlenwelt-Spiel bereits heraus war, und ich die gesamte Höhlenwelt des Computerspiels schon fertig entwickelt hatte – und bis zu diesem Zweitpunkt nur das eine Bild mit dem Flugzeug von Hans-Werner Sahm kannte. Dann aber, nachdem ich das neue Bild (das heute das Cover des 2. Buches der Höhlenwelt ziert) entdeckt hatte (es heißt ebenfalls 'Entdeckung')... tja, also... da 'entdeckte' ich, dass Sahm eine ganze Reihe von phantastischen Landschaftsbildern gemalt hatte, die problemlos meiner Geschichte hätten entstammen können. Gewissermaßen haben wir also parallel und unabhängig voneinander unsere 'Höhlenwelt' ersonnen. In einer Sache muss ich ihm allerdings den Vortritt lassen – er hat mich inspiriert.
Natürlich juckte es mich gewaltig, ihn kennenzulernen. Ich nahm Kontakt mit seiner Galerie auf, erzählte dort von meinem Spiel, und Herr Gerstenberg sagte mir, ich solle einen Brief an Herr Sahm schreiben und diesen Brief an ihn, Gerstenberg geben – er wolle ihn dann weiterleiten.
Das tat ich, wartete, aber nach ein paar Wochen kam ein abschlägiger Bescheid. Es hieß, Herr Sahm sei ein etwas zurückgezogen lebender Künstler, er male vier Bilder im Jahr, und hielte nichts von großartiger Publicity und so weiter. Ich weiß nicht, ob Herr Sahm selbst sich so äußerte, oder Herr Gerstenberg es für ihn tat – jedenfalls hatte ich Pech, ich kam nicht an ihn heran. Punkt und Ende.
Dann kam für mich die Zeit, in der ich nach Norddeutschland zu Software 2000 ging, um dort einen Platz als Game-Designer im frisch gegründeten Entwicklungsteam von Software 2000 einzunehmen. Ich blieb für eineinhalb Jahre dort, und eigentlich sollte während dieser Zeit die Entwicklung des 2. Teils der Höhlenwelt-Saga als Computerspiel stattfinden. Doch irgendwie kam es nicht dazu. Ich programmierte an einem Höhlenwelt-Szenario mit Hilfe einer 3D-Engine herum, aber da dies alles damals noch nicht so weit war, entstand parallel dazu ein weiteres Spiel von mir: das eher comichafte 'Archibald Applebrooks Abenteuer'.
Das Spiel war nur mäßig erfolgreich, offengestanden war es nur eine reine Arbeitsleistung, hinter der ich nicht so voll und ganz stand wie hinter der Höhlenwelt-Saga, und im Zuge dessen ging auch mein Stern bei Software 2000 unter. Irgendwie passte alles nicht mehr so recht und ich wollte wieder nach Hause – mein kleiner Sohn Eric, damals 4, lebte bei meiner geschiedenen Frau im fernen Bayern und er fehlte mir mehr und mehr. Ich erwirkte meine Freigabe bei Software 2000 und ging Anfang 1996 zurück nach Bayern.
Schon während der Entwicklung von 'Archibald Applebrooks Abenteuer' hatte ich mich insgeheim einer anderen Sache zugewandt. Es war mir klar geworden, dass das Spiel 'Die Höhlenwelt-Saga' keinen Nachfolger haben würde, aber mein Herz hing an dieser Sache wie an keinem anderen Projekt zuvor. Also hatte ich schon Mitte 1994, ohne ein genaues Ziel vor Augen, mit dem Schreiben einiger Kapitel eines Höhlenwelt-Romans begonnen – eigentlich nur aus purer Schreiblust. Im Laufe des Jahres nahm dann jedoch die Geschichte konkretere Formen an und zum Jahresende hin war ich mir sicher, einen echten Roman daraus machen zu wollen.
Als ich Software 2000 Anfang 1996 verließ, hatte ich den ersten Roman schon zu großen Teilen fertig (obwohl er später noch wesentliche Änderungen erfahren sollte). Immer mehr stellte sich heraus, dass das Computerspiel eigentlich nur eine Entwicklungsstufe zum Roman darstellen würde; in Wahrheit haben die beiden nur sehr lose und offene Verbindungen. Der Roman (bzw. die Romanserie) spielt etwa 1.000 Jahre früher als das Computerspiel und viele Dinge sind zu dieser Zeit ganz anders. Ich wollte nicht die Ursprünge meiner Höhlenwelt-Saga verleugnen, und wenn man sich bemüht, könnte man heute immer noch plausible Zusammenhänge zwischen den beiden Zeitaltern (Buch – Spiel) herstellen. Dennoch ist es so, dass die Romanserie eine ganz eigenständige Sache ist, deren Verbindung zum (viel früher erschienen) Spiel man aufkündigen könnte und sollte. Manchem mag das nicht ganz astrein vorkommen – aber so ist es nun mal: die Dinge entwickeln sich.
Außerdem liegt mir ganz persönlich daran, als Schriftsteller zu gelten, und nicht als Game-Designer, der hobbymäßig ein paar Zeilen zu seinem erfolgreichen Produkt nachliefert. Schon meine Abenteuerspiele waren gewissermaßen der "Roman auf dem Bildschirm", und ich hatte ja schon 1992 meinen Roman 'Die Kathedrale' herausgebracht. Das Schreiben also war es, was mich zum Game-Designer werden ließ, und auch zum Übersetzer, der ich heute bin, und morgen vielleicht werde ich (mit Glück) wieder ganz in Mamas Schoß zurückkehren – in die Zunft der reinen Schriftsteller.
Als ich dann, Anfang 1996 mit meinem fertigen 1. Höhlenwelt-Roman zurück in Bayern war, hatte ich den Plan gefasst, mindestens einen Dreiteiler daraus zu machen. Ich fand ein kleines, nettes Häuschen zwischen Äckern, Wiesen und Wäldern und schreib fleißig weiter. Freunde lasen meine Ergüsse und berieten mich; hier seien im besonderen Daniel Aigner erwähnt, der mir ein paar äußerst wichtige Ideen zur Entstehung der Höhlenwelt eingab, und Isabell Weidemann, die mir immer den Kopf zurechtrückte, wenn ich es meine Protagonistin Leandra mal wieder zu bunt hatte treiben lassen, oder mir die schreiberischen Pferde sonstwie durchgegangen waren.
Und schließlich gab es da noch jemanden: eine alte Freundin, die mich einmal in meiner kleinen Hütte besuchte, und die nichts ahnend den größten Stein lostrat. Sie erblickte das Bild über meiner Couch – eben jenes Stützpfeilerbild von Hans-Werner Sahm, das ich einst bei meinem Musikerkollegen sah und mir inzwischen selbst zulegt hatte. "Hee!", sagte sie und starrte das Bild an, "ist das nicht ein Bild von Hans-Werner?" Und ich: "Hans-Werner? Sag bloß, du kennst den?". "Klar", antwortete sie, "das ist eine alte Jugendliebe von mir..." Und so weiter. Sie kannte ihn tatsächlich.
Ein paar Wochen später fuhr sie in die Gegend, in der er wohnte, besuchte ihn und kam mit der Mitteilung zurück, dass ich mich mal bei ihm melden sollte. Seine Telefonnummer brachte sie mit. Und so kam es, dass ich Hans-Werner Sahm doch noch kennenlernte. Das soll einer für einen Zufall halten! Ich rief ihn an, und etwa eineinhalb Jahre später besuchte ich ihn, zusammen mit meinem Sohn Eric. Zu dieser Zeit waren bereits die Manuskripte der ersten beiden Romane fertig, und ich hatte auch schon einen Vertrag mit Heyne in der Tasche.
Es lag auf der Hand, mit Hans-Werner gemeinsame Sache zu machen. Inzwischen hatte ich, nunmehr durch weitere Bilder von ihm inspiriert, einige seiner genialen, visuellen Einfälle in meinen Romanen eingebaut. So geht zum Beispiel die alte Festung Bor Akramoria aus meinem 1. Höhlenwelt-Roman komplett auf sein Bild 'Refugium' zurück. Als der Heyne-Verlag dann mit Hans-Werner einig wurde, war das Coverbild der Stützpfeiler für meinen 2. Höhlenwelt-Roman ohnehin Pflicht. Und als feststand, welches seiner Bilder meinen 3. Roman schmücken würde, verfasste ich (an einer passenden Stelle) eine entsprechende Szene im 3. Roman, welche sich auf dieses Bild bezieht.
Mancher mag das für Flickschusterei halten, aber ich liebe es geradezu, aus Versatzstücken eine Geschichte zu schmieden. Ich habe in der Schreiberei (auch durch die Bilder von Hans-Werner) eine wichtige Erkenntnis gewonnen. Ein Schriftsteller wird schwerlich je etwas ersinnen können, was noch nie dagewesen ist. Ich habe mich deswegen darauf verlegt, Inspirationen zu verarbeiten und mit meiner eigenen Imagination zu würzen. Ich lese, sehe Filme und Fernsehen, höre Musik, lausche den Ideen anderer Leute, schaue mir Bilder an, rede mit Menschen und so weiter. Dauernd bleiben Eindrücke in mir hängen, manche sind wichtig, andere weniger. Was ich dann zu Papier bringe, ist eine Verarbeitung unzähliger Inspirationen, zusammen mit der Meinung und dem Zusammenhang, in den ich sie setze, und ausgeschmückt mit meinen Ideen und meiner Vorstellungskraft. Zugegebenermaßen befindet sich nur zu einem ganz kleinen Teil wirklich Neues darunter.
Das möchte ich auch jedem raten, der sich künstlerisch betätigen will: Er möge durch die Welt gehen und alles in sich aufnehmen, was er sehen, hören und erleben kann. Mit Sicherheit wird das alles dann eines Tages wieder nach außen drängen und sich äußern wollen – aufbereitet mit der (und zur) eigenen Haltung des Künstlers. Ich glaube, das ist der Weg, auf dem Kunst entsteht, und nicht, indem man sich hinsetzt und nachdenkt, ob einem nicht vielleicht etwas völlig Neues, noch nie Dagewesenes einfällt. Könnte sein, dass man dann bis an sein Lebensende sitzt und nichts zuwege bringt.
Harald Evers